Gewerbliche Stricker verschwinden – Handstricken erlebt eine Renaissance
Es gibt nur mehr wenige professionelle Strickereien im deutschsprachigen Raum. Genauso wie beim Beruf des Spinners und des Walkers gibt es kaum mehr Nachwuchs in Form von Lehrlingen in der Textilbranche. Die Profession der Stricker stirbt langsam aus, während das Handstricken als Hobby sich ungebrochener Beliebtheit erfreut: Mehr und mehr junge Frauen und auch Männer entdecken das Stricken als meditative Tätigkeit, bei der man sich am Ende nicht nur entspannt hat, sondern auch ein Produkt in Händen hält. Gefeierte Designer:innen bringen immer neue Anleitungen für Jacken, Schals, Mützen, Handschuhe aber auch Haushaltstextilien wie Decken oder Kissen auf den Markt, und der Markt für Handstrickgarne boomt. Beim World Wide Knit in Public Day wird jedes Jahr Ende Juni das Stricken im öffentlichen Raum propagiert, und beim Heavy Metal Knitting World Championship stellen sich die ganz harten Jungs und Mädels bewaffnet mit Nadeln und Garn headbangend auf die Bühne. (Sachen gibt’s…)
Hingegen haben viele gewerbliche Strickereien im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahrzehnten zugesperrt. Die Maschinen wurden in Länder des Ostens verkauft, oder die Firmenräumlichkeiten in ein Museum umgewandelt. Aber es gibt sie noch, die Betriebe, die Socken und Handschuhe auf Rundstrickmaschinen aus den 1950er Jahren und älter herstellen, und Strickstoffe auf Flach- und Rundstrickmaschinen. (Welche Betriebe sind das, und wo sind die? Schau nach am Textilportal!)
In Österreich haben wir zum Beispiel die Firma Will Huber Wolle im Lungau, in der auf Flachstrickmaschinen Trachtenjanker in Handarbeit entstehen, und auf kleinen, englischen Rundstrickmaschinen Socken und Handschuhe. Im Oktober 2023 hat Gabriele Brandhuber aus unserem Projektteam Willi Huber Wolle besucht und beim Sockenstricken zugeschaut.
Heratex in der Obersteiermark stellt ebenfalls Socken und Handschuhe her, aber auch Strickstoffe für internationale Sportbekleidungshersteller und Pullover für das Österreichische Bundesheer, auf großen Flachstrickmaschinen. Heratex arbeitet viel und gern mit heimischen Wollen und verarbeitet auch kleine Mengen für kleingewerbliche Kunden.
Gottstein im Tiroler Ötztal ist bekannt für feine Walkstoffe aus eher feinen, ausländischen Wollsorten. Für seine formschönen und wärmenden Filz-Hausschuhe hat Gottstein auch eine Linie mit Wollen seltener Schafrassen entwickelt.
Entscheidungen in unserem Projekt
Stricken und Weben ergeben aus dem selben Garn Stoffe mit unterschiedlichen Qualitäten: Strickstoff ist flexibler und bleibt dehnbarer, und diese Eigenschaft behält er auch in angefilzter Form (als so genannter „Walk„) bei. Gewebter Stoff ist meist glatter, fester und nicht dehnbar. Angefilzt heißt dieses Woll-Gewebe „Loden„.
Bei der Gründungssitzung unseres Projektes #WollWeste2024 war keiner der österreichischen Lodenhersteller anwesend, dafür gleich zwei Betriebe, die stricken können. Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, dieses Jahr (2024) mit Walk zu arbeiten.
Unsere Entscheidung, welche Firma den Strickstoff herstellen soll, steht aber im Zusammenhang mit den Schritte vorher (dem Spinnen) und nachher (dem Walken). Dem Charakter der Tiroler Bergschafwolle entsprechend sind wir ja beim Spinnen auf ein dickeres Garn (4,4/2) gegangen, um möglichst viel vom Ausgangsmaterial nutzen zu können. Das stärkere Garn in unserer Menge (430 kg) wiederum konnten nur bei Heratex zu Stoffbahnen verstrickt werden, weil Gottsteins Strickmaschinen für feineres Material ausgelegt sind. Dafür hatte Heratex im kleinen Betrieb zu wenig Platz zum Waschen und Trocknen unserer großen Mengen Stoff. Gottstein hingegen ist der Spezialist fürs Walken und Trocknen großer Mengen.
Zum Glück verstehen sich die beiden Firmen gut, und Hermann Rabenhaupt – Geschäftsführer von Heratex – ist extra mit dem ersten Ballen Strickstoff von der Steiermark nach Tirol zu Gottstein gefahren, um zu testen und mit dem Team von Gottstein die beste Walkqualität für uns herauszufinden. Wie strick soll Hermann stricken, und wie muss gewalkt werden, um die gewünschte Dicke für unser Material zu erreichen? (Dazu noch mehr im nächsten Kapitel, Walken.)
Die Firma Heratex
Hermann Rabenhaupt hat die Firma Heratex in Öblarn in der Steiermark Ende der 1970er Jahre gegründet. Mit 10 Mitarbeiter:innen stellt die Firma stellt verschiedene Produkte von Strick- und Walkwaren in unterschiedlichen Stärken und Farben her. Zu den größeren Kunden von Heratex zählen Hersteller von Sportbekleidung und das österreichische Bundesheer. Zu den kleineren Kunden Schaf- und Alpakabauern aus Österreich und Deutschland, die kleine Chargen für ihre Hofläden und Onlineshops bei Hermann herstellen lassen.
Das Motto lautet: Aus der Natur mit der Natur! Gewalkt wird nur mit heißem Wasser, auf chemische Walkzusätze wird verzichtet. Zwei Töchter von Hermann arbeiten im Betrieb mit; die Nachfolge ist gesichert.
Nächster (verzahnter) Schritt in der Produktionskette: Walken!